Desinformation über Tigray: Die Herstellung von Zustimmung für einen sezessionistischen Krieg

Desinformation über Tigray: Die Herstellung von Zustimmung für einen sezessionistischen Krieg

Vorwort

Während der Tigray-Konflikt nach wie vor ungelöst ist, die westlichen Versuche einer „humanitären Intervention“ andauern, und die USA ihre jahrzehntelangen Sanktionen gegen Eritrea nun auch auf Äthiopien erstreckt haben, werden die Fragen und Rufe nach Aufklärung immer lauter. Was ist wirklich los in Tigray? Welches sind die Ursachen der immer größer werdenden humanitären Katastrophe? Warum bedroht ein sog. „Regionalkonflikt“ mittlerweile die Stabilität des gesamten Horns von Afrika und damit tendenziell auch des Kontinents? Wieso scheitern die USA und in ihrem Gefolge die EU ein ums andere Mal – sowohl bei der afrikanischen Staatengemeinschaft (AU) als auch in den UN-Gremien – mit ihren Vorstößen zur Internationalisierung des Konflikts und zur Beschneidung der Souveränität Äthiopiens? Und wie kann es sein, dass ein Prozess, der 2018 mit dem historischen Friedensschluss zwischen Äthiopien und Eritrea so hoffnungsvoll begonnen hat, weniger als drei Jahre später in ein Chaos zu münden droht?

Der bewaffnete Konflikt in Äthiopien wurde von Beginn an auch von einem medialen Krieg begleitet, in welchem sich Meldungen über vermeintliche Gräueltaten, schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen bis hin zu den Ausmaßen eines „Genozids“ überschlugen. Letztlich ist es diese „Nachrichtenlage“, die stets den Ausgangspunkt und die Basis für alle interventionistischen Versuche des Westens bildet, einerlei ob diese nun auf eine Entmachtung des äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed oder „nur“ eine „provisorische Interimsregierung“, einen „runden Tisch“ oder ähnliche Maßnahmen hinauslaufen. Gleiches gilt für die regelmäßig immer wieder neu erhobenen Forderungen nach noch schärferen Sanktionen und anderen Feindseligkeiten gegenüber Eritrea mit der Begründung, eritreische Truppen seien in Äthiopien, insbesondere in Tigray, an Kriegsverbrechen beteiligt.

In Anbetracht solch massiver Auswirkungen der kolportierten Meldungen muss verwundern, dass diese fast zu 100 % von den Nachrichtenagenturen und den jeweils beteiligten Journalisten weder eigenständig recherchiert, noch überprüft oder einem Quellen-Check unterworfen, sondern in einem „copy and paste“-Verfahren bedenkenlos verwendet und weitergegeben werden. Diese Praxis dauert an und umfasst sogar solche Meldungen, deren Fragwürdigkeit aufgrund von Verstößen gegen die Denkgesetze der Logik, zeitlichen Ungereimtheiten oder bereits auf den ersten Blick erkennbarer Unzuverlässigkeit (z.B. „Zeugen vom Hörensagen“) offenkundig ist. Ein Erklärungsansatz, wenn auch kein vollständiger, könnte sein, dass die grobe Missachtung journalistischer Mindeststandards in dem Bewusstsein geschieht, über keine anderen Quellen zu verfügen, von niemandem zur Rechenschaft gezogen zu werden, und sich nahtlos in den Mainstream der von den westlichen Regierungen „gewünschten“ Berichterstattung einzupassen. Und dennoch bleibt vor allem die Frage, wer mit welchem Interesse Falschmeldungen gezielt in die Welt setzt und „entwickelt“?

Mit der von uns nun ins Deutsche übersetzten Dokumentation „Disinformation on Tigray“ hat das „New Africa Institute“ (NAI, New York) unter Leitung von Dr. Simon Tesfamariam ein komplexes, extrem sorgfältig recherchiertes Werk vorgelegt, das alle in den westlichen Medien erhobenen Vorwürfe Punkt für Punkt in beeindruckender Weise widerlegt. Es dürfte der aktuell und für lange Zeit umfassendste Text sein, der sich unter Verwendung allgemein zugänglicher, überprüfbarer Quellen mit den erfundenen Narrativen auseinandersetzt, und dabei zugleich anschaulich macht, wie bestens finanzierte Akteure für ihre Auftraggeber systematische Desinformations-Kampagnen stufenweise organisieren – mit wohlwollender Billigung und Mithilfe maßgeblicher Protagonisten der westlichen Afrika-Politik.

Wir haben versucht, das außerordentliche Maß an Sorgfalt, welches die Dokumentation auszeichnet, auch als Maßstab für die Übersetzung in die deutsche Sprache anzulegen. Um die Authentizität der Quellen, auf die es hier entscheidend ankommt, in keiner Weise zu beeinträchtigten oder ungewollt zu verfälschen, haben wir die Fußnoten (Quellen-Nachweise), auf die der Text verweist, im englischen Original belassen – in der Endabwägung wiegt die Angabe der Original-Quelle schwerer als die etwaige zusätzliche Erschwernis einer noch vorzunehmenden Übersetzung der jeweiligen Quellenangabe durch den Leser selbst.

Ungeachtet unseres Bemühens, eine den exakten Sinn des Originals wiedergebende Fassung für den deutschsprachigen Raum vorzulegen, können wir nicht ausschließen, dass es dennoch zu einzelnen Übertragungsfehlern oder zu offene Fragen hinterlassenden Text-Passagen gekommen ist. Für jede, auch kritische Hinweise sind wir daher dankbar und werden entsprechend reagieren. Herzlich bedanken möchten wir uns nicht nur bei Dr. Simon Tesfamariam, der uns die deutsche Übersetzung gestattet hat, sondern auch bei Martin Zimmermann, freier Journalist, der das Projekt maßgeblich mit initiiert hat, sowie Teclu Lebassi von der Eritreischen Botschaft in Berlin, der den Kontakt zum NAI/New York hergestellt und in kürzester Zeit für „grünes Licht“ von dort gesorgt hat. Schließlich möchten wir uns bei allen DEG-Mitgliedern und externen Ratgebern bedanken, die auf die eine oder andere Weise am Zustandekommen dieser Übersetzung beteiligt waren.

Die Distribution des Textes im deutschsprachigen Raum verbinden wir mit der Hoffnung, auf diese Weise eine Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung bezüglich des Tigray-Konflikts zu befördern, die sich an überprüfbaren Fakten statt erfundenen Narrativen orientiert und damit zugleich zu einer zukünftigen Ausrichtung der Berichterstattung an den Interessen der Völker am Horn von Afrika beiträgt.

Vorstand der Deutsch-Eritreischen Gesellschaft (DEG)

Frankfurt, Juni 2022

DEG