Interview 2 mit S. (März 2023)
S. ist 1982 in Asmara, Eritrea geboren, sie lebt in Deutschland, sie ist Steuerfachangestellte und alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen.
Wie war deine Kindheit?
Meine Kindheit war sehr schön, da meine Eltern wohlhabend waren und ich die Schule besuchen konnte und wir uns den nötigen Unterhalt und die Verpflegung leisten konnten. Meine Eltern haben mich streng, aber sehr liebevoll großgezogen.
Was war deine Rolle in deiner Familie?
Ich habe 5 Brüder und 2 Schwestern und bin die jüngste Tochter. Allerdings bin ich nur mit meinen Brüdern aufgewachsen, da meine Schwestern früh aus Eritrea geflohen sind. Dies trug dazu bei, dass ich meinen Eltern viel im Laden helfen musste. Parallel dazu habe ich die Schule besucht.
Kannst du uns kurz über deinen Weg nach Deutschland erzählen?
Ich habe meinen jetzigen Ex-Mann geheiratet und reiste durch ihn nach Deutschland ein.
Wo und wie hast du deinen Mann kennengelernt?
Meine Familie hat ihn für mich ausgewählt und engagierte innerhalb von 3 Wochen die Hochzeit. Zu dem Zeitpunkt war ich 18 Jahre alt und habe gerade mal die 11. Klasse abgeschlossen. Kurz danach kam der Heiratsantrag, was für meine Eltern ein guter Zeitpunkt war, da ich nun die Schule absolviert hatte und sie glücklich darüber waren. Für mich persönlich ging der Prozess viel zu schnell, da ich nicht genügend Zeit hatte, um ihn richtig kennenzulernen und entscheiden konnte, ob er nun der richtige Mann an meiner Seite ist oder nicht.
Wie hast du von der Hochzeitsplanung erfahren?
Meine Mutter hat mich darüber informiert und versucht, so detailliert wie möglich darüber aufzuklären, was in Kürze auf mich zukommen wird.
Hattest du die Wahl mit „Ja, ich will.“ oder „Nein, ich will nicht.“ zu antworten?
Jein. Einerseits habe ich damals geglaubt, dass meine Eltern immer das Beste für mich wollen und die richtigen Entscheidungen mir zuliebe treffen, aber anderseits hatte ich starke Bedenken, weil ich noch gar keine Erfahrungen in Beziehungen etc. sammeln konnte.
Welchen Ratschlag würdest du anderen betroffenen Frauen geben wollen?
Wenn man über sich selbst bestimmt und eigene Entscheidungen im Leben trifft, kann man besser mit den daraus resultierenden Konsequenzen umgehen. Daher sollte man erst mit sich im Reinen, standhaft im Leben sein und die Kennenlernphase mit dem Partner nicht zu kurzhalten, um gegebenenfalls eine falsche Entscheidung vermeiden zu können.
Wie waren deine Erfahrungen in Deutschland?
Anfangs war es sehr schwierig für mich, weil ich nun in einem fremden Land war, meinen eigenen Mann nicht richtig kannte und auch nicht wusste, was mich weder in der Ehe noch in dem Land erwarten wird. Zwar ist er erst auch sehr liebevoll mit mir umgegangen, aber nach einem Jahr habe ich bemerkt, dass wir unterschiedliche Ansichten und Einstellungen haben. Im Hinterkopf hatte ich aber die Vorstellung, dass meine Partnerschaft der Ehe meiner Eltern ähnelt, weil sie in ihrer 55-jährigen Ehe immer noch sehr liebevoll miteinander umgehen und ich es nicht anders kenne. Nach der Geburt meiner 2 Söhne ging zwar die Ehe in die Brüche, aber der Kontakt blieb den Kindern trotzdem noch bestehen. Da meine Priorität neben meinen 2 Söhnen auch die Bildung war, habe ich meine Ausbildung im Jahr 2022 erfolgreich absolvieren können und arbeite nun als Steuerfachangestellte.
Welche Eigenschaften hast du von deiner Mutter mitgenommen?
Meine Mutter hat mir Ehrgeiz und Fleiß gezeigt, da sie zum einen die Bildung priorisiert hat und gemeinsam mit meinem Vater einen Laden führen konnte. Neben den zwei Eigenschaften hat sie mir vor allem gezeigt, wie wichtig eine liebevolle Erziehung ist.
Was würdest du anders als deine Mutter machen?
Ich würde meinen Kindern die Möglichkeit geben, offen mit mir über alle Themen zu sprechen und sie dazu ermutigen, ihr Leben in ihre eigene Hand zu nehmen.
Inwiefern ist die eritreische Kultur mit dem Leben in der Diaspora vereinbar? Und was vermisst du von Eritrea?
Es sind grundsätzlich zwei unterschiedliche Kulturen, die verschiedene Normen und Werte vertreten. In Deutschland hat man mehr Möglichkeiten, sich selbst zu entfalten und bekommt gegebenenfalls Unterstützung von der Regierung. In Eritrea hingegen kann man erst aus dem Familienhaus ausziehen, wenn man die Schule erfolgreich absolviert hat und verheiratet ist. Zudem hat man in Eritrea eine viel engere Bindung zu seinen Mitmenschen und ist nicht wie in Deutschland größtenteils ein Fremder.
Da die Stadt, in der ich lebe, eine multikulturelle Stadt ist und es in meiner Wohngegend eine aktive eritreische Gemeinschaft gibt, habe ich ein Stück Heimat bei mir und kann meine Kultur unbeschränkt ausleben.
Das Interview mit S. führte Elsa Tesfaselassie.
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