Klarstellung der Deutsch-Eritreischen Gesellschaft (DEG) zum Eritrea Festival 2023
VERBOT STATT SCHUTZ
»Man hat eine Sollbruchstelle gesucht«
Stadt Gießen versucht mutmaßlich politisch motiviert, ein Eritrea-Festival zu verbieten.
Ein Gespräch mit Dirk Vogelsang (1. Vorsitzender der Deutsch-Eritreischen Gesellschaft e.V.)
Interview: Ina Sembdner / junge Welt, Ausgabe vom 07.07.2023
Das am Wochenende geplante Eritrea-Festival in Gießen ist von den Behörden verboten worden. Worum handelt es sich bei der Veranstaltung, und warum darf sie nicht stattfinden?
Das Eritrea-Festival ist eine kulturelle Großveranstaltung, die seit Jahrzehnten in allen Ländern gefeiert wird, über die im Ausland lebende Eritreer, ein Sechstel der Gesamtbevölkerung, verteilt sind. So auch von der hiesigen Community, die 70.000 Menschen umfasst. Dieses Kulturfest hat seinen Ursprung in Bologna, wo es bereits während des 30jährigen Unabhängigkeitskrieges (1961–1991, jW) stattgefunden hat. Immer schon ging es dabei um die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität und das Treffen von Familien, Freunden und alten Bekannten in der Diaspora. Die Verbotsverfügung der Stadt Gießen ist mit einer »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« begründet worden.
Der Zentralrat der Eritreer in Deutschland beklagte in einer Mitteilung, dass ungewöhnliche, für einen privaten Verein kaum erfüllbare Bedingungen von der Stadt vorgegeben wurden. Welche waren das, und teilen Sie die Einschätzung, dass dies auf Unerwünschtheit hindeutet?
Der Magistrat hat den Veranstaltern vorgeworfen, kein überzeugendes Sicherheitskonzept vorgelegt zu haben. Zentrale Punkte waren dabei ein angeblich ungenügender Sanitätsdienst, eine mangelnde Absicherung durch gegen Gewalteinwirkung nicht hinreichend gesicherte Zäune und die fehlende Zusage, garantiert ausschließen zu können, dass potentielle Störer die Einlasskontrollen passieren und auf das Gelände gelangen. Gerade diese Anforderung, die kein Veranstalter jemals zu 100 Prozent erfüllen kann, und das unkooperative Gebaren des Ordnungsamts sind deutliche Indizien dafür, dass man eine Sollbruchstelle gesucht hat, um eine politisch unliebsame Veranstaltung zu desavouieren und zu sabotieren. Dieselben Veranstalter, die das Festival seit 2011 mit Ausnahme der Coronajahre zehnmal friedlich und störungsfrei in den Gießener Messehallen durchgeführt haben, werden nun als »unzuverlässig« gebrandmarkt.
Schon im vergangenen Jahr musste eine eritreische Musikveranstaltung abgebrochen werden, da sich die Einsatzkräfte nicht imstande sahen, die Teilnehmenden vor etwa 100 Angreifern schützen. Was ist der genaue Hintergrund der Auseinandersetzung?
Seit dem historischen Friedensschluss zwischen Äthiopien und Eritrea 2018 haben sich die Kräfteverhältnisse am Horn von Afrika deutlich zu Lasten des Westens, vor allem der USA, verändert. Letztere hatten fast drei Jahrzehnte das äthiopische TPLF-Regime als Statthalter für ihre Interessen benutzt, während das unabhängige Eritrea als – wie Hillary Clinton es mal bezeichnet hat – Musterbeispiel für einen »Bad good state« und als »Nordkorea Afrikas« stigmatisiert wurde. Gemeint ist: gut für die Bevölkerung, schlecht für den Westen. Diese Politik ist nun am Ende. Mit den neuen Realitäten will sich die TPLF nicht abfinden und finanziert im Ausland Terrorzellen wie die »Brigade N’Hamedu«, um eritreische Veranstaltungen und Einrichtungen zu überfallen. Sie steckte auch hinter dem Überfall, den Sie ansprechen, bei dem es fast Tote gegeben hätte. Mit »oppositionellen Eritreern«, wie es hier in den Leitmedien dargestellt wird, hat dies nichts zu tun.
Die Veranstalter haben Widerspruch gegen das Verbot eingelegt und einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Gießen gestellt. Gibt es schon ein Urteil?
Ja, seit dem späten Mittwoch. Das Eilverfahren war auf zwei Kammern, eine für die gaststättenrechtliche und eine für die ordnungsrechtliche Genehmigung, aufgeteilt worden. Beide Kammern haben das Verbot ohne Einschränkung kassiert und in ihrer Begründung vor allem deutlich gemacht, dass auch noch so martialische Gewaltandrohungen gegen das Festival – vor allem, wenn diese über Social Media verbreitet werden – nicht den Veranstaltern angelastet werden können. Den Beschluss kann man nur als Klatsche für die Stadt Gießen bezeichnen.
Was erwarten Sie für das Wochenende?
Ein hoffentlich friedliches, kulturell belebendes und spannendes Festival, das im Zeichen der jungen Eritreerinnen und Eritreer steht, die in ihrer Heimat und hier in der Diaspora fühlbar in das Geschehen eingreifen und die Geschicke eines unabhängigen, selbstbestimmten Eritrea, für das ihre Eltern und Großeltern so lange gekämpft haben, immer mehr in die Hand nehmen.